Lost in Translation: Der zweifelhafte Beitrag des Marketings
Von Michael Nowarra
Ein Beispiel aus dem (Partner) Marketing soll verdeutlichen, wie praktiziertes Game Changing im Partner Recruitment aussieht, wie es wirkt und warum es den Unterschied macht.
Beim Game Changing geht es nicht darum, dass alle Hersteller den neuen, Ihren, Spielregeln folgen, sondern darum, dass Sie beim Partnerunternehmen einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil gegenüber den anderen Herstellern haben.
Es geht auch nicht um den Big Bang, sondern um eine Art Guerilla-Taktik: einem Masterplan folgend kleine, gezielte, preisgünstige Maßnahmen durchführen, die Ihnen zuverlässig maximalen Nutzen und gleichzeitig dem Gegner maximalen Schaden zufügen.
Ich habe dieses Beispiel gewählt, weil es weit verbreitet ist und verdeutlicht, was Game Changer „anders sehen“ und wie sie mit einfachen, praxisbewährten Mitteln die Regeln in der Zusammenarbeit mit Partnern ändern können.
Das Problem
Trotz beträchtlicher Investitionen des Marketings in Collaterals, Whitepaper, Success Stories, Slide Decks, Referenzen, Veranstaltungen, Lead Generation-Programme, Webinare, Social Media-Aktivitäten, Website-Präsenz usw.
sind die Ergebnisse im Partner Recruitment oftmals ernüchternd:
- wenige oder gar keine Reaktionen,
- wenn Reaktionen, dann aber nicht von den Top-Entscheidern der Partner,
- Entscheider sind nicht oder nur schwer erreichbar,
- kein Interesse an einer Partnerschaft oder sich zumindest einmal damit zu beschäftigen,
- ein langwieriger, schleppender Prozess mit teilweise nicht nachvollziehbaren Wendungen oder
- gleich eine Absage.
Alles, noch bevor es überhaupt zu einer ernsthaften Evaluierung der Partnerschaft kommt. Es kann also im Wesentlichen nur an der Kommunikation des Herstellers liegen.
Die übliche Reaktion: „Wir müssen mehr und besseres Marketing betreiben!“. Nicht nur, dass diese „Lösung“ zu einem Wettrüsten, zu mehr Ausgaben und Aufwand führt, es bringt auch keine entsprechenden Ergebnisse.
Kann es auch nicht, denn es wirkt zentralen Mechanismus auf Seiten der Partner zuwider. Ich nenne es das „Lost-in-Translation-Phänomen“.
Das Lost-in-Translation-Phänomen
Seit mehr als 20 Jahren lasse ich mir in jedem meiner Projekte, in denen ich für meine Auftraggeber und in deren Namen Partner rekrutiere, aus gutem Grund alles an Informationsmaterial geben, das auch ein potenzieller Partner erhält.
Obwohl ich das schon Jahre mache, benötige ich immer noch mehrere Tage, um aus diesem Berg an Material die wichtigen Informationen herauszudestillieren und die richtigen Schlussfolgerungen daraus abzuleiten. Für mich ist dieser Aufwand kein Problem, denn ich werde dafür bezahlt. Ist das bei den Ansprechpartnern seitens der Partnerkandidaten ebenfalls so? Offensichtlich nicht!
Die Kommunikation mit Partnerkandidaten bewegt sich in einem Spannungsfeld von
- „fundierte Entscheidungen“,
- „mehrere Einzelentscheidungen“ und
- „Aufwand für das Treffen der Entscheidungen“.
Entscheidend dabei sind die „fundierten Entscheidungen“, denn nur sie werden erfahrungsgemäß konsequent, schnell und zuverlässig umgesetzt.
Warum das Marketing oftmals Teil des Problems ist, zeigt sich bei näherer Betrachtung der universellen Mechanismen, die in diesem Spannungsfeld bei Top-Entscheidern herrschen und welche Wirkungen Marketing-as-usual hat:
Beides, ein zu viel und ein zu wenig an Informationen verursacht beim Partner teilweise beträchtlichen Aufwand. Besonders bei den ersten Entscheidungen, die ein Entscheider zu treffen hat („beschäftige ich mich überhaupt mit dem Thema Partnerschaft“ bzw. „investiere ich Zeit und Aufwand, näher darüber nachzudenken?“) kann Aufwand zu einem echten Deal-Breaker werden.
Marketing-Dokumente decken inhaltlich meist die Themen „Hersteller“ und „Technologie bzw. Produkte“ in allen Facetten ab. Darüber hinaus sind sie eher „generisch“ und können nicht den konkreten Einzelfall eines Partnerkandidaten abdecken. Partner sehen eine Partnerschaft aber aus der Perspektive des eigenen Unternehmens: Was bedeutet eine Partnerschaft für mein Unternehmen?
Der Entscheider muss also, um zu einer fundierten Entscheidung zu gelangen, die ihm gebotenen Informationen „übersetzen“ bzw. „interpretieren“. Auch das bedeutet Aufwand. Darüber hinaus birgt dies das nicht zu unterschätzendes Risiko einer falschen Schlussfolgerung (besonders, wenn er nicht genügend Aufwand betreibt).
Ich glaube jetzt wird deutlich, warum ein Mehr an Marketing-as-usual das Problem eher verschärft, anstatt es zu lösen.
Es geht auch anders, nach anderen Regeln
In meinen Projekten verzichte ich bewusst auf die Unterstützung des Marketings. Stattdessen bauen ich mir mein eigenes, maßgeschneidertes Communication Kit. Das ist zwar nicht effizient (ich könnte es mir einfacher machen), aber sehr effektiv.
Für den Aufbau des Communication Kit gelten immer dieselben Regeln:
- C-Level und deren Perspektive: Die gesamte Kommunikation ist auf die Bedürfnisse der Top-Entscheider und ihr Unternehmen zugeschnitten.
- Value Proposition ZERO: Der Nutzen, den ich vom ersten Kontakt an biete, ist: „Ich verschwende nicht deine Zeit und mache dir die Entscheidungsfindung so einfach wie möglich“.
- Customer Journey: Ich differenziere zwischen den verschiedenen Einzelentscheidungen, die mein Gegenüber treffen muss und führe ihn mit den richtigen Informationen Schritt für Schritt durch diesen Prozess.
- Effektivität: Entscheidend ist für mich, wie gut meine Kommunikation Entscheidungen in meinem Sinne beeinflusst, nicht wie effizient sie ist.
- Ownership: Ich sehe es als meine Pflicht an, die Inhalte so aufzubereiten und zu kommunizieren, wie sie mein Gegenüber benötigt und erwartet – nicht umgekehrt. Kommunikation ist für mich eine Bringschuld des Herstellers und keine Holeschuld des Entscheiders.
- Übersetzung: Ich rede wenig über mich (und meinen Hersteller), sondern viel über den Partner. Alle Inhalte beziehen sich auf den individuellen Partner und welchen Beitrag eine Partnerschaft für sein Unternehmen leistet bzw. leisten kann.
- Zurückhaltung: Ich sage zu Beginn niemals, dass wir das Unternehmen als Partner gewinnen wollen, sondern nur, dass ich gemeinsam mit meinem Gegenüber (in einem ersten Gespräch) herausfinden möchte, ob es sich für uns beide lohnt, sich intensiver mit einer Partnerschaft zu beschäftigen.
Das Ergebnis, das Communication Kit, besteht aus einem One-Pager (tatsächlich ein maximal 2-seitiges Email) plus weitere relevante Informationen „in kleinen Happen“, die ich dann bei Bedarf verschicke.
Diesen One-Pager verwende ich vierfach:
- als Argumentationsgrundlage für eine „freie“ Diskussion,
- als Intro-Email für den Fall, dass mein Gegenüber erst einmal wissen möchte, worum es geht,
- als Aide Memoire für meinen Gesprächspartner und
- als Briefing-Dokument, das mein Gesprächspartner innerhalb seiner Organisation verschicken kann, wenn er weitere Personen involvieren möchte.
Selbst mit diesem Communication Kit bleibt es nicht aus, dass ich hin und wieder mit einem der oben beschriebenen Probleme konfrontiert werde. Das sind dann aber verkraftbare Einzelfälle.
Mein Fazit
Die „andere Kommunikation“ ist schneller, kostengünstiger, wirkungsvoller und flexibler als das Marketing-as-usual.
Führungskräfte, die die Regeln ändern wollen,
- legen die Kommunikation in die Hände des Vertriebs, namentlich in die der Partner Manager,
- bauen die C-Level-Kompetenz der Mitarbeiter konsequent auf bzw. aus,
- betreiben Partner Intelligence (genaue Kenntnisse des Partnerunternehmens, das rekrutiert werden soll) und
- achten darauf, dass Entscheider in ihren Mitarbeitern „Berater auf Augenhöhe“ sehen und akzeptieren.
Über den Autor
Mit seiner über 25-jährigen Erfahrung als Consultant, persönlicher Sidekick und Program Manager für Vorstände/Geschäftsführer mittelständischer Software-Hersteller ist der Autor ein ausgewiesener Kenner des Channel Business auf strategisch-konzeptioneller und operativer Ebene.
In seiner Arbeit geht es immer um den „Entfesselten Channel“: eine Channel-Organisation, die sich von selbstverordneten Wachstumsbeschränkungen, falschen Denkweisen und wenig wirksamen Handlungsmustern befreit – angestoßen und begleitet von CEOs, die entschlossen sind, als „Game Changer“ sicht- und spürbare Akzente und ganz neue Maßstäbe hinsichtlich strategischem und operativem Umsatz- und Profitwachstum zu setzen.
Seine Arbeit beruht auf den in den vielen Projekten gewonnenen Erkenntnissen über das wahre Wesen des Channels und die verschiedensten Stellschrauben für eine signifikante, nachhaltige Performance-Steigerung.
Sie können ihn unter michael@alliance-bliss.com erreichen.