Warum die Königsdisziplin des Wachstums manchen Führungskräften immer verschlossen bleibt
… und andere nur einen winzigen Schritt machen müssen. Erkenntnisse eines leidenschaftlichen Regelbrechers.
Von Michael Nowarra
Die Frage ist: warum gibt es eigentlich so viele, die freiwillig darauf verzichten, mit der „Königsdisziplin“ des Wachstums – das gezielte Brechen vermeintlicher Marktregeln – im Channel-Business außergewöhnliche Wachstumserfolge und Wettbewerbsvorteile zu erzielen, wenn sachlich eigentlich nichts dagegenspricht.
Die Antwort mag überraschen, liegt aber auf der Hand, wenn man das Channel-Business einmal aus einer anderen Perspektive betrachtet:
Die Sozialisation
Ganz so freiwillig ist der Verzicht nun auch nicht. Es liegt am Elternhaus, den Großeltern, den Geschwistern, der Clique, der Schule, den Vorgesetzten und, und, und. Sie alle sind schuld daran.
Ob unbewusst oder gezielt, wir werden vom zarten Alter eines Kleinkindes an bis ins hohe Alter sozialisiert. Es gilt Regeln zu kennen und sie einzuhalten. Wer Regeln befolgt, wird belohnt. Wer gegen sie verstößt, wird bestraft. Wir alle kennen ja die Sprüche: „das macht man so“, „das gehört sich nicht“, „so war das immer“, „die anderen machen es auch so“, „der schon wieder!“, „kannst du das nicht einfach mal machen“, „geht es auch mal ohne „warum“?“ – und die Konsequenzen bei wiederholtem Verstoß.
Bei den allermeisten Menschen gelingt Sozialisation hervorragend. Das soziale Umfeld ist zufrieden und belohnt sie entsprechend. Es gibt sie aber, die seltenen Charaktere, die sich immer wieder erfolgreich den Sozialisierungsversuchen widersetzen oder entziehen. Und dann gibt es noch diejenigen, die irgendwann für sich entschieden haben, ins „innere Exil“ zu gehen und einfach mitzuspielen. Wohl oder übel.
Der ersten Gruppe, den Sozialisierten, wird die Königsdisziplin immer verschlossen bleiben. Sie können sich Regelbrechen als Strategie noch nicht einmal vorstellen, geschweige denn so handeln. Die beiden anderen Gruppen brauchen lediglich einen kleinen Anstoß, den Regelbrecher in sich zu entfesseln – und etwas Begleitung.
Die Sache
Ich unterstütze seit mehr als 20 Jahren Software-Hersteller bei Channel-Fragen. In dieser Zeit habe ich so gut wie jede (vermeintliche) Regel des Channel-Business gezielt, systematisch und mit Erfolg gebrochen. Bis auf eine Handvoll, die man durchaus als eherne Naturgesetze des Channel-Business bezeichnen kann. Im Laufe der Jahre haben sich in meinem „Channel Cook Book“ zu jedem Aspekt des Channels genügend Rezepte angesammelt. Jetzt ist die Zeit gekommen, nicht mehr selbst am Herd zu stehen, sondern meine Rezepte zu vermarkten. Um in diesem Bild zu bleiben.
Mit welchen Einwänden habe ich in der Regel anfangs zu tun?
- Einwand 1: Regelbrechen ist nur etwas für die Großen. FALSCH: ich haben es lange Zeit gemacht und das als Einzelkämpfer.
- Einwand 2: Regelbrechen ist nur etwas für die wenigen begnadeten Unternehmer. FALSCH: ich bin vieles, aber ganz sicher kein begnadeter Unternehmer.
- Einwand 3: Regelbrechen braucht eine riesige Maschinerie, viel Zeit und viel Geld. FALSCH: diese Strategie wird Schritt für Schritt umgesetzt. Ziel ist nicht der Markt an sich, sondern das jeweilige Verhältnis des Herstellers zu einem individuellen Partner. Man braucht keinerlei Marketing, denn man macht es im Stillen. Kurz: man arbeitet wie ein Guerillero.
- Einwand 4: Regelbrechen funktioniert nur in neuen, innovativen Märkten. FALSCH: diese Strategie ist in etablierten Märkten, in denen sich die Geschäftsmodelle der Anbieter kaum noch voneinander differenzieren, am erfolgreichsten (siehe Luftfahrt mit RyanAir, Uhrenindustrie mit Swatch, Softdrink-Markt mit Red Bull, öffentlicher Rundfunk mit RTL). So gesehen ist der Channel geradezu überreif. Denn alle Hersteller betreiben das Channel-Business auf dieselbe Art und Weise. Von Kosmetik einmal abgesehen.
Der winzige Schritt
Wir können feststellen, dass Sie das Regelbrecher-Gen haben müssen, auch wenn es im Moment schlummert. Andernfalls hätten Sie wohl nicht bis hierhin gelesen. Wir können weiterhin feststellen, dass es eigentlich keinerlei sachlichen Gründe gibt, die Königsdisziplin Regelbrechen einmal anzuwenden, sich zumindest mit ihr zu beschäftigen.
Ganz so einfach ist es dann doch nicht. Sie erinnern sich an die Zeit, als man versuchte, sie zu sozialisieren? Ich verbinde damit immer ein gewisses Gefühl des Alleinseins: allein in der Ecke stehen, allein zum Rektor zu gehen, allein im Meeting eine Meinung vertreten, der einzige zu sein, der etwas hinterfragt. Ich erinnere mich aber auch daran, welch gutes Gefühl es war, wenn einem Jemand unverhofft zu Seite steht und unterstützt.
Und das ist die einzige echte Hürde, die einen Regelbrecher vor dem ersten Schritt zögern lassen kann: ich bin allein, keiner unterstützt mich, das ist Neuland und ich weiß nicht, was auf mich zukommt, es geht nicht um einen Rüffel, sondern um meine Karriere (übrigens nicht nur im Negativen, sondern auch im Positiven!). Und auf meine Kollegen aus Vorstand/Geschäftsleitung kann ich am wenigsten zählen.
Aber auch diese Hürde ist zu überwinden! Es lohnt sich! Play the game, but by YOUR rules!
Über den Autor
Mit seiner langjährigen Erfahrung als Consultant, persönlicher Sidekick und Program Manager für Vorstände/Geschäftsführer mittelständischer Software-Hersteller ist der Autor ein ausgewiesener Kenner des Channel Business auf strategisch-konzeptioneller und operativer Ebene.
In seiner Arbeit geht es immer um den „Entfesselten Channel“: eine Channel-Organisation, die sich von selbstverordneten Wachstumsbeschränkungen, falschen Denkweisen und wenig wirksamen Handlungsmustern befreit – angestoßen und begleitet von CEOs, die entschlossen sind, als „Game Changer“ sicht- und spürbare Akzente und ganz neue Maßstäbe hinsichtlich strategischem und operativem Umsatz- und Profitwachstum zu setzen.
Seine Arbeit beruht auf den in den vielen Projekten gewonnenen Erkenntnissen über das wahre Wesen des Channels und die verschiedensten Stellschrauben für eine signifikante, nachhaltige Performance-Steigerung.
Sie können ihn unter michael@alliance-bliss.com erreichen.