Der CFO, der Gewissheit suchte, aber ein Geflecht aus Un- und Halbwahrheiten fand

von Michael Nowarra




Sich mit der Wahrheit im Channel Business und in der eigenen Organisation intensiv auseinander zu setzten ist eigentlich eine Pflicht für jeden CEO und CFO. Die Konsequenzen aus einer anderen, besseren Wahrheit können nämlich dramatisch sein: andere, nützlichere Wahrheiten führen zu anderen, nützlicheren Erkenntnissen und letztlich immer zu anderen, besseren Problemlösungen.

Denn die vermeintlichen Gewissheiten der Vergangenheit führen immer tiefer in das Regime Systematischer Verschwendung von Ressourcen und Chancen.

Dies ist die Geschichte eines CFO, der durch immer wiederkehrende Verhaltensrituale aus Channel-Vertrieb und Vertriebsleitung misstrauisch und immer besorgter wurde. Denn wenn es zutraf, dass seine Arbeit möglicherweise zum großen Teil auf Falschinformationen beruht, würde das seine persönliche Integrität, seine Funktion als CFO und die Ergebnisse seiner Tätigkeit infrage stellen. Er musste Klarheit haben. Und die konnte er durch einen kleinen „Wahrheits“-Test ohne jedes Aufsehen herstellen.

Desinformation, Unwahrheiten oder Halbwahrheiten sind weit verbreitete und gut untersuchte Phänomene und CFOs sind von Natur aus prädestinierte Opfer dafür. Er war mglw. nicht der Einzige, den es betraf.

Und dass Desinformation, Unwahrheiten oder Halbwahrheiten nicht isoliert vorkommen, sondern ein ganzes Geflecht bilden, würde er auch noch lernen müssen.

Wenn es Unwahrheiten, Halbwahrheiten und Falschinformationen gibt, gibt es auch Wahrheit. Sie wird nicht absolut, sondern nach Nützlichkeit und Zweckmäßigkeit definiert.

Es lohnt sich, sich mit der Wahrheit zu beschäftigen, denn ob „unwahr“ oder „wahr“ bestimmt über große Schäden oder immensen Nutzen für Personen und Organisationen, wie zum Schluss des Beitrags zu lesen sein wird.

Die Suche beginnt

Auslöser und Misstrauen

Er war jetzt im 6. Jahr als CFO im Unternehmen mit Engagement, Verantwortungsgefühl und Freude tätig. Manche seiner Kollegen mögen ihn deshalb auch als „etwas verkniffen“ bezeichnet haben.

Seit Jahren bekam er immer wieder dieselben Erklärungen, Entschuldigungen oder Begründungen von CSO, Channel-Verantwortlichem und Channel-Mitarbeitern. Das konnte doch unmöglich alles der Wahrheit entsprechen – oder hat niemand etwas dazu gelernt trotz all der Investitionen in Prozesse, Weiterbildung, Infrastruktur, Kampagnen, Dienstleister, Content-Ersteller.

Sein Misstrauen war geweckt! Gerade jetzt in Zeiten von Krisen und Ungewissheit! Konnte es sein, dass man ihn jahrelang mit schöner Regelmäßigkeit „hinter die Fichte geführt“ hatte? Als CFO ist man ja prädestiniert dafür und viele begreifen es sogar als eine Art Sport.

Beängstigende Auswirkungen

Es wäre eine persönliche Niederlage für ihn gewesen. Viel wichtiger war für ihn aber die Tatsache, dass er in diesem Fall seiner Verantwortung gegenüber Stakeholdern (Aufsichtsrat, Investoren) und Unternehmensführung nicht gerecht werden konnte und dadurch in persönliche Bedrängnis geriet.

Wenn die ihm vorliegenden Informationen ganz oder teilweise falsch waren, dann war auch der Budgetierungsprozess „nicht ganz korrekt“, dann war die transparente und zutreffende Darstellung des Status Quo des Unternehmens falsch. Ganz zu schweigen von der Einschätzung und Behandlung von Risiken! Wie sachgerecht waren dann noch seine Zustimmungen zu Investitionsentscheidungen? War die von ihm zu vertretende Umsatz- und Ertragsvorschau zu hoch oder zu niedrig? Auf jeden Fall nichtzutreffend!

Diese Ungewissheit war ein unerträglicher Zustand für ihn. Er musste Klarheit haben!

Ist er der Einzige?

Bevor er sich mit dem CEO kurzschließen würde, musste er wissen, ob er der Einzige ist, dem es so ergeht. Er kontaktiert also einige CFOs in ähnlichen Unternehmen und schilderte ihnen seine Situation und seinen Verdacht. Das Ergebnis: bei Allen war es ähnlich! Er und seine „Leidensgenossen“ konnten sogar eine Hitliste der 6 beliebtesten „Statements“ aufstellen:

  1. es liegt an unserer Lösung (Varianten: Wettbewerbsprodukte, Preis, Function & Features und ähnliches),
  2. es liegt am Marketing (Varianten: Kampagnen, Collaterals, Veranstaltungen, Lead-Generierung und ähnliches),
  3. wir brauchen mehr und erfahrenere Mitarbeiter und die sind kaum zu bekommen,
  4. es liegt an den Margen und WKZs, die wir bieten,
  5. die Partner sind schuld (Varianten: Desinteresse, wenig Engagement, keine Investitionen, sie verstehen es nicht, und ähnliches) und
  6. „so ist es eben!“ (Varianten: Markt, Wettbewerb, 80/20-Regel, Planbarkeit, Wandel, Unsicherheit und ähnliches).

Um ganz sicher zu gehen, fragte er einen Channel-Experten nach dessen Meinung: „Desinformation oder wie immer man es nennen mag, ist ein weit verbreitetes und gut untersuchtes Phänomen. Ihre Hitliste kenne ich zu genüge. Die üblichen Branchenstandards!“

Die Frage, wie groß das Ausmaß dieses Phänomens in seinem konkreten Fall sei, beantwortete er salomonisch: „Ohne mehr Information kann ich nichts sagen. Dazu ist die Sache zu ernst. Ich kann Ihnen aber ein paar Indizien geben, die sie selbst ganz leicht prüfen können. Je weniger sie zutreffen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass Ihre Channel-Organisation nicht mehr auf der Höhe der Zeit ist und die Sachverhalte anders aussehen, als sie Ihnen gegenüber dargestellt werden.“

Wahrheiten im Channel Business

Was ist Wahrheit überhaupt?

Die Wahrheit liegt nicht im Auge des Betrachters, sondern sie definiert sich dadurch, dass sie nützlicher und zweckmäßiger ist. Die Wahrheit in diesem Sinne kann unter anderem

  • die gelebte Realität der Marktteilnehmer und des gesamten Marktes besser erkennen, erklären und abbilden,
  • Unsichtbares sichtbar machen,
  • Verhalten von Partnern, Herstellern und Wettbewerbern besser bzw. treffsicherer erklären und prognostizieren
  • den Wirkungsgrad und die Wirkungsweise von Maßnahmen besser erklären, verbessern und prognostizieren und
  • dies möglichst für den größten Teil des Channel Business (Phasen, Facetten, Funktionsbereiche, Hierarchie-Ebenen, Strategie/Taktik/Operation) sowie der einzelnen Partner bzw. Partnertypen.

Nur sechs von mehr als 20 meiner Wahrheiten, gewonnen in über 20 Jahren Channel-Dienstleistung, über 100 Projekten und Tausenden Stunden Arbeit auf C-Level von Herstellern und Partnern, sollen dies verdeutlichen:

Meine WAHRHEIT (setzten Sie doch einmal Ihre Wahrheiten dagegen)
  • ·alle relevanten Entscheidungen einer Partnerschaft werden durch den CEO oder die C-Suite des Partners getroffen,
  • es sind Business-Entscheidungen, die zu 90% nach demselben Muster und mit denselben Kriterien getroffen werden,
  • es sind im Kern Investitionsentscheidungen über die Allokation von Ressourcen des Partners,
  • Technologie ist nur eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für eine (erfolgreiche) Partnerschaft,
  • es geht im Channel Business für den Hersteller primär darum, möglichst viel Ressourcen des Partners zu bekommen und
  • alles, was dessen Ressourcen beansprucht, ist grundsätzlich Wettbewerb

Die Unterschiede zwischen meiner und Ihrer Wahrheit dürften vermutlich beträchtlich sein. Und damit auch die Auswirkungen auf die Art und Weise, wie Sie Ihr Channel Business betreiben bzw. betreiben könnten. Wieder ein Grund, sich anderen Wahrheiten nicht von vorneherein zu verschließen.

Quellen der Wahrheit oder: prüfe selbst!

Wie kann man erste Rückschlüsse über den Wahrheitsgehalt von Informationen ohne großes Aufheben ziehen? Man schaut sich die Personen an, von denen diese Informationen stammen. Je intensiver und systematischer sie die folgenden Quellen nutzen und kombinieren, desto größer ist wohl der Wahrheitsgehalt:

  • unterschiedliche Rollen, die sie eingenommen haben,
  • unterschiedliche Perspektiven, aus denen sie das Channel Business betrachtet haben,
  • Umfang und Vielfältigkeit ihrer Erfahrungen,
  • die Bandbreite des Tätigkeitsspektrums – auch des vergangenen,
  • die Fähigkeit, die richtigen Erkenntnissezu ziehen und Prinzipien zu erkennen,
  • systematische Beobachtung der Arbeitsweise des Wettbewerbs(Strategien, Maßnahmen, Instrumente, Content etc.),
  • Berücksichtigung von Erkenntnissen anderer Disziplinen,
  • die Fähigkeit zu und der Freiraum für gezieltes Experimentieren
  • die Konsolidierung all dessen in valide und reliable Erklärungs- und Handlungsmodelle-methoden sowie
  • das Wissen über den wahren Status Quo der eigenen Channel-Organisation durch objektive, neutrale, extern durchgeführte Assessments.

Leider gehören diese Quellen nicht zur üblichen Job Description eines COOs, CSOs, Vertriebsdirektors, Channel Chiefs oder Mitarbeiters der Channel-Organisation! Wahrscheinlich auch nur zu den wenigsten Lebensläufen.

Das Misstrauen des CFOs war vermutlich nicht ganz unbegründet.

Das Geflecht

Dass es sich NICHT um einzelne, isolierte Wahrheiten, Halbwahrheiten oder Unwahrheiten handeln kann, ergibt sich aus der Tatsache, dass das Channel Business ein hochintegriertes System ist.

Sind bspw. die grundlegenden Annahmen über das Channel Business (siehe Abschnitt „Was ist Wahrheit überhaupt?“) nicht oder nur wenig wahr, können alle darauf aufbauenden Elemente auch nicht wirklich der Wahrheit entsprechen: Richtlinien, Prozesse, Inhalte, Strategien, Paradigmen, Management-System etc.

Was bringt mir die Wahrheit überhaupt?

Eine Mahnung

Die persönlichen und unternehmerischen Konsequenzen aus Unwissenheit oder gar gefährlichem Halbwissen sind derartig gravierend, dass es sich kein CEO und kein CFO leisten sollte, die tatsächliche Wahrheit über das Channel Business allgemein und die eigene Channel-Organisation im Besonderen nicht zu kennen.

Denn sie

  • verzichten auf Macht, Einfluss und Gestaltungsmöglichkeiten,
  • verzichten auf die Erreichung wirklich ambitionierter Ziele,
  • treffen Entscheidungen auf der Basis unvollständiger oder gar falscher Informationen,
  • übersehen wichtige Risiken,
  • übersehen teilweise entscheidende Probleme und deren tatsächlichen Ursachen,
  • informieren ihre Stakeholder, allen voran Aufsichtsräte, Anteilseigner oder Investoren, falsch

und schlussendlich

  • schwächen ihre fachliche und Führungskompetenz genau dann, wenn sie am meisten gebraucht wird: bei einer direkten, konzeptionellenIntervention in das Channel Business.

Viel Nutzen

Andererseits bringt Wahrheit immensen Nutzen: Probleme werden viel schneller, nachhaltiger und besser lösbar.

Beispiele aus der Praxis:

  • das Regime Systematischer Verschwendung von Ressourcen und Chancen,
  • mangelnde Selbstheilungskräfte der eigenen Organisation,
  • keine echten Handlungsalternativen in Zeiten von Krisen und Ungewissheit,

und natürlich

  • Partner zeigen zu wenig Eigendynamik und investieren zu wenig (weniger, als sie könnten),
  • Entscheidungsprozesse dauern zu lange und die Ergebnisse sind nahezu unvorhersehbar,
  • kaum aktiver, direkter und effektiver Einfluss auf den Entscheidungsprozess der Partner,
  • Fachkräftemangel,
  • Partner sind schwer zugänglich oder reagieren sofort ablehnend,
  • Partner zeigen wenig onboarding-Engagement,
  • dasBusiness mit dem Hersteller wird nicht systematisch aufgebaut,
  • Partner wollen eine Partnerschaft, zeigen aber später wenig Engagement,
  • Performance der Mitarbeiter ist nicht hoch genug (bspw. im Recruitment),
  • Mitarbeiter beschäftigen sich zu viel mit Betreuung der Partner anstatt mit deren gezielter Steuerung,
  • Partner Manager haben keinen Zugang zu den Top-Entscheidern bzw. agieren dort nicht auf Augenhöhe,
  • Technologie/Produkte erweisen sich nicht als das entscheidende Argument bei Partnern,
  • Gespräche mit den Top-Managern der Partner drehen sich zu sehr um Functions & Features (durch Hersteller so gewollt!),
  • Zielvereinbarungen werden nicht erfüllt oder nur mit Mühe und mit großer Ungewissheit erreicht,
  • Marketing-Ausgaben steigen ohne adäquate konkrete Mehrergebnissen,
  • Partner setzen Business-Pläne nicht konsequent/zuverlässig um,
  • viele Partner erweisen sich als nicht leistungsbereit, obwohl sie eigentlich Partner werden wollten,
  • dasPartnerportfolio ist zu klein oder zu wenig leistungsfähig und
  • Prozesse sind nicht effektiv genug.

Ich hoffe, ich konnte Sie dazu inspirieren, sich einmal die Zeit zu nehmen um sich mit der Wahrheit in sich schnell ändernden Zeiten, in Krisen und Ungewissheit zu beschäftigen. Gerne stehe ich Ihnen für einen ersten Gedankenaustausch zur Verfügung.

Und bedenken Sie: es gibt viel zu verlieren und noch mehr zu gewinnen!

Ihr Michael Nowarra

Vorschau: In einem der nächsten Beiträge werde ich beleuchten, warum die gängigen Problemlösungen durchweg in systematischer Verschwendung münden (müssen).

Über Michael Nowarra – Executive Advisor und Channel Think Tank

Meine Hauptaufgabe als Channel Think Tank und Executive Advisor ist es, Executives beim Erkennen, Bewerten und Bewältigen einer von ihnen weitgehend unerkannten aber für die nächsten Jahre wahrscheinlich größten realen Herausforderung des Channel Business zu unterstützen.

Als Think Tank / Executive Advisor mache ich das, was Hersteller und ihre Executives nicht machen können oder sollten: Ich entwickle in meinem LAB innovative, teilweise disruptive Lösungen für Probleme des Channels und teste sie rigoros in der Praxis. Sollten sie sich in den unterschiedlichsten Anwendungsfällen und -szenarien bewährt und strengen Kriterien standgehalten haben, integriere ich sie in mein Alliance Bliss Channel Operating Model. Dieses Modell bildet die Grundlage meiner Beratungstätigkeit und Services.

Meine Lösungen sind einfach, kostengünstig, zuverlässig wirksam und für Jeden geeignet, basieren auf langjähriger Erfahrung, umfangreicher Channel-Expertise, einer interdisziplinären Herangehensweise, konkreten Vorstellungen von einem alternativen Channel Operating Model und langjähriger Beobachtung von Marktchancen, Marktveränderungen, Wettbewerb und den sich dramatisch veränderten Rahmenbedingungen.